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Ausstellungen

Museum Stift Klosterneuburg

Was leid tut

Was macht das Leid aus dem Menschen? Wie verhält sich der Mensch angesichts des Leides? Leid kann zerbrechen – aber es kann auch stärken, weil es näher zu Gott bringt. Zu diesem Thema sind Arbeiten aus sieben Jahrhunderten zu sehen.

Die Ausstellung „was leid tut“ führt uns anhand von sechs Kapiteln, durch die Themen Vertreibung aus dem Paradies, Martyrium, Zweifel, Trauer, Reue hin zu Trost und Hoffnung. Die dafür zusammengestellten Exponate stammen aus sieben Jahrhunderten, von der gotischen Handschrift des frühen 15. Jahrhunderts bis zu Arbeiten, die eigens für die Ausstellung geschaffen wurden. Dabei gibt es Leitfiguren aus der christlichen Bildtradition wie Hiob, Christus am Ölberg, die Pietà, heilige Märtyrer, den reuigen Petrus, den depressiven König Saul, aber auch Schutzpatrone und den Schutzengel. Die Gegenüberstellungen alter, klassisch moderner und zeitgenössischer Kunst eröffnen einen einzigartigen Spannungsbogen durch die Kunst- und Kulturgeschichte.

Die Ausstellung wurde von zahlreichen Künstlerinnen und Künstlern mit Werken unterstützt, die teilweise von einschneidenden persönlichen Erlebnissen inspiriert wurden und die überaus individuelle Zugänge zum Thema »Leid« finden. Es finden sich Arbeiten von Linde Waber, Julia Faber, Simon Schober, Michael Endlicher, Thomas Naegerl, Hans Robert Pippal, Susanne Geister u.v.a. in der Ausstellung.
Gerade zwischen den Werken aus unterschiedlichen Epochen ergeben sich oft erstaunliche Parallelen, die zeigen, dass es sich bei dem Thema »Leid« um ein Phänomen handelt, das Menschen zu allen Zeiten quer durch alle Kulturkreise und Weltanschauungen betroffen und bewegt hat.

Die Künstlerinnen Franziska und Mercedes Welte aus Feldkirch in Vorarlberg zeigen ihre Arbeit aus dem Jahre 2004

…NOCH WARM, DOCH SCHON WEIT FORT…

…Noch warm doch schon weit fort
wo gehst du hin?
werden wir uns wieder sehen
du fehlst…
Gehen wir ins Licht? Ist da jemand, der auf uns
wartet? Werden wir es „sehen“ können oder nur
fühlen? Wir wollen es nicht wissen…oder doch?
Siebdrucke 200 x 100 cm Siebdrucke 2004 – Besitz der Künstlerinnen.
Text: BA Gertraud Kamml
Das Werk besteht aus drei Bannern mit drei Gesichtern, in unterschiedlichen Darstellungsweisen. Die Arbeit ist als Triptychon angelegt und bekommt durch die Einbettung in die apsisartige Rundbogennische einen weihevollen Tempelcharakter.
Das verbindende Element zwischen den drei Gesichtern ist der Nonnen-Schleier, der das Haupt schützend ummantelt. Beim dritten Gesicht breitet sich ein diaphaner netzartiger Schleier über das Antlitz des Gesichtes.
Der Schleier bringt eine geheimnisvoll-sakrale Komponente in diese Arbeit.
Das weiße Gesicht ist als Werks-Entrée angelegt. Frontal auf den Betrachter hin ausgerichtet tritt es mit fest verschlossenen Augen dem Gegenüber entgegen. Geschwärzte Lider mit zeichnerisch angelegten Farbakzenten vermitteln Schwere, Trauer und unermessliches Leid; bedingt durch den Verlust des geliebten Menschen. Dieser große Herzensschmerz wird vom Betrachter mit allen Sinnen wahrgenommen.
Das weiße Inkarnat wirkt fahl und leblos. Es steht allegorisch für jene Menschen, welche die diesseitige Welt verlassen müssen. Der morbide Geruch der Vergänglichkeit und des Todes im Geiste des barocken Memento mori, drängt sich aufdringlich in den Raum herein.
Unsicherheit und Angst vor der eigenen Sterblichkeit durchfließen die Gefühlswelt des Betrachters; die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits öffnet sich verschwommen vor dem geistigen Auge.
Das Schließen der Augen des Verstorbenen als Vorbereitung für die letzte Ruhe zählt zu den zärtlichen Ritualen beim Abschiednehmen.
Geschlossene Augen bringen den Seelenfrieden für die letzte Ruhe.
Die Aura der Ewigkeit verklärt den Raum und durchtränkt ihn in feinen Wellen mit dem Äther der Ewigkeit des Universums.
Mehr und mehr löst sich die Seele vom Körper und macht sich bereit für die Reise in die Weiten des Kosmos, voll von Helligkeit und Licht.
Gibt es ein Wiedersehen?
Die Farbe Weiß steht in der Offenbarung nach Johannes (Off 22/12) für Alpha und Omega und symbolisiert die Auferstehung von Jesus Christus.
In der rechten Pupille entpuppt sich bei genauem Hinsehen aus den roten Farblinien der Umriss eines Neugeboren.
Gibt es eine Wiederkehr?
Das zweite Gesicht schmiegt sich in die etwas nach hinten versetzte Raumnische wie ein Altarblatt ein. Es wird von einem purpurroten Schleier gerahmt. Nach oben hin gibt es luftige Weite.
Das Rot bringt Wärme und Vertrauen in die kapellenartige Raumsituation.
Rot steht auch für eruptive emotionale Erregung. Der porzellanweiße Teint wirkt zerbrechlich und filigran. Licht- und Schattenspiele gepaart mit der Stille des Ortes betonen das feierlich sakrale Arrangement.
Das Inkarnat ist geweißt und verbreitet den Geruch der Leblosigkeit und des Schmerzes. Hier spielt die Ikonographie der „7 Schmerzen Mariens“ herein. Das Vesperbild der Pietà gilt als Sinnbild für das Leiden der Gottesmutter nach dem Verlust des geliebten Sohnes durch den Kreuztod.
Die Farbe Rot verweist in der christlichen Ikonographie auf die Passion Christi und den Schmerz der Gottesmutter: „Ein Schwert wird durch deine Seele gehen“, steht im Evangelium nach Lucas geschrieben – (Lucas, 2/35).
Das leuchtkraft-intensive Purpur ist die Farbe der Herrscher. Purpur ist kostbar und vermittelt Stärke und Macht. Der Herstellungsprozess aus der Purpurschnecke wird schon bei Plinius in seiner Naturalis historia ausführlich beschrieben.
Durch die transzendente Lichtsituation spielt eine mystische Komponente herein, die eine synästhetische Wahrnehmung anregt.
Das Gesicht blickt den Betrachter mit leicht geöffneten Augen an und animiert zur Selbstreflexion der eigenen nietzeanischen Seelenlandschaft.
Der dritte Banner präsentiert ein hell ausgeleuchtetes Gesicht in Dreiviertelansicht. Ein durchsichtiger flauschiger Schleier bedeckt das Gesicht.
Der Schleier enthüllt, wo er scheinbar verhüllt. Lucas Cranach perfektionierte diesen Kunstgriff der Schleierinszenierung meisterhaft. Das Künstlerehepaar Christo und Jeanne-Claude realisierte seit den 1960er Jahren ihre spektakulären Verhüllungsprojekte.
Der transparente, hauchfeine Schleier betont den erotischen Charakter einer Darstellung.
Der Schleier ist mehr ein Mittel der Enthüllung als eines der Bedeckung.
Die Verletzlichkeit und Zartheit der Gefühlswelt wird betont.
Das rhombenförmige Gitternetz vermittelt Unruhe und Ungewissheit.
Das Netz als Schleier schafft Abstand und lässt keinen klaren Blick auf das Herankommende zu. Es steht symbolisch für das ungewisse Neue, das den Verstorbenen im Jenseits erwarten wird.
6/Kandinski,Über das Geistige in der Kunst. insbesondere in der Malerei. München 1911
7/VGL.: Werner,Elke, Anna, Die Schleier der Venus. Zu einer Methapher des Sehens bei Licas Cranach d.Ä, in: Cranach der Ältere. Katalog anlässlich der Ausstellung im Stätl. Museum, Frankfurt a.M.-2008,S 99-209
8/ Goldberger,Paul,Christo und Jeanne-Claude,2019.